Die in Basel geborene Künstlerin Nives Widauer ist der Ansicht, dass das künstlerische Schaffen immer stark von jenem Ort geprägt wird, an dem man gerade arbeitet. So sagt Sie zu ihrem Umzug nach Wien, dass sie Wien deshalb immer interessiert hat, da man hier unter anderem auf Flohmärkten viele Relikte aus vergangenen Zeiten finden kann: „Ich habe zu diesem Zeitpunkt plötzlich auch begriffen, dass es nicht unbedingt darum geht Privatleben und Künstlerdasein voneinander zu trennen.“
Was die Künstlerin an ihrer Arbeit besonders fasziniert, ist Zusammenhänge zu finden, die vordergründig nicht offensichtlich sind: „Im Grunde genommen“, so Widauer, „hat es ein wenig von einer Art Forschertätigkeit, wenn man z.B. etwas über eine Sache heraus findet, von der man vorerst nicht genau wusste was man da eigentlich in der Hand hält. Ich finde es einfach spannend, dass es Dinge gibt, die eine Geschichte erzählen.“
Zu ihrer Arbeitsweise meint Widauer: „Im Grunde bin ich eine Sammlerin – wobei es da schon unterschiedliche Arten des Sammelns gibt. Ich habe z.B. ein großes Archiv von Filmen, die
ich selber gedreht habe, die ich dann meistens auch mit einer gewissen Verzögerung bearbeite. Ich sammle Bilder: ich fotografiere – ich sammle Eindrücke und ich lese auch viel. Das ist wie ein Puzzle, wo man Teile zusammen fügt.. Ein Teil davon ist auch „Found Footage“ – gefundenes Material, quasi von anderen Menschen oder der Natur offeriert. “Die Künstlerin lässt das meiste Material oftmals ziemlich lange liegen, schaut es sich jedoch von Zeit zu Zeit immer wieder an,lässt es wirken. Sobald sie dann den Blick für etwas geschärft hat, fallen ihr im Alltag lauter Dinge auf, die zum aktuellen Thema passen – ob es sich nun um gewisse Farben, Gegenstände, Tiere, Texte oder auch um Arbeiten anderer KünstlerInnen handelt. „Das reift dann heran und bleibt vorerst einmal in einer Art Nebel verborgen, bis ich es dann meistens in Kombination mit etwas Neuem plötzlich verstehe und ein „Aha-Erlebnis“ habe, und dann weiß ich ganz genau, wie ich ein Material einsetzen möchte.“
Zur Serie „Deadlands“ erzählt die Künstlerin, dass sie sich vor einigen Jahren ein Konvolut von Landschaftsfotos – offensichtlich einer Reise durch das Europa der 30er oder 40er Jahre – eines wahrscheinlich semi-professionellen Fotografen am Wiener Flohmarkt beim Naschmarkt gekauft hatte. Diese Fotos sind dann sehr lange Zeit gelegen und eigentlich erst durch das Ereignis des Todes ihres Vaters wieder in ihr Bewusstsein getreten. „Wie die meisten war auch ich nach diesem Erlebnis in tiefer Trauer. Eines der ersten Dinge, die ich nach seinem Tod in die Hand nahm, war, als ich gerade dabei war sein Bücherregal aufzuräumen, das Buch „Antlitz des Todes“ von Egon Friedell, in welchem sich Friedell mit Totenmasken auseinandersetzt. Ich habe ja damals auch meinen Vater umgezogen und die Veränderung seines toten Gesichts erlebt, bzw. beobachtet. Unsere menschliche Identität spielt sich ja zu einem großen Teil über unser Gesicht ab. Es ist praktisch unser Erkennungsmerkmal aber auch emotionaler Ausdrucksort. Im Moment des Todes gibt man dann aber die Kontrolle ab – also das Gesicht ist dann quasi das was übrig bleibt, wenn du es nicht mehr steuerst und deshalb ist die Totenmaske meiner Ansicht nach so interessant.“
Widauer hat dann Friedells Buch von Basel mit nach Wien genommen und es für ein Jahr liegen lassen. Über das Leben in Wien hat sie dann auch mehr über das Leben von Egon Friedell erfahren und irgendwann ergab es sich dann, dass plötzlich die Fotos dieser fremden Europareise neben dem Buch von Egon Friedell zum Liegen gekommen sind. Da habe sie dann sofort gewusst – die Gesichter kommen jetzt auf diese Fotos. „Denn im Grunde genommen sind Landschaftsfotos, wenn man diese nun vollkommen radikalisiert, ebenfalls eine Art von Totenmaske der abgebildeten Natur. Eine Totenmaske möchte ja vor allem eines; nämlich einen Moment konservieren und die Natur steht nie still, die Zeit bleibt nie stehen.“ so die Künstlerin.
Bei der Totenmaske gibt es nach ihrer Meinung mehrere Ebenen. Zum einen eine gesellschaftliche Ebene – „die Mode“ Menschen von Bedeutung die Totenmaske abzunehmen, um diese noch ein letztes Mal auf eine höhere Stufe zu stellen. Weiters, so Widauer, hat das Gesicht eines Menschen auch immer etwas von einer Landschaft, in dem die Geschichte eines Menschen zu lesen ist – sowie auch die Landschaft selbst eine Geschichte hat. „Daher ist in mir dann auch der Gedanke gekommen, eine Art von Landschaft in eine andere Landschaft zu montieren, wobei ich die Auswahl der jeweiligen Landschaft rein intuitiv getroffen habe und es daher keinen konkreten Bezug zur Person gibt, der die jeweilige Totenmaske abgenommen wurde.“
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Informationen zur Künstlerin:
Homepage: Nives Widauer